erschienen in der Evangelischen Zeitung vom 19. Juli 2015, S.17

Von Johanna Renate Wöhlke

Eine Premiere – einfach eine Premiere…?

Ende einer Premiere

Es wird gepredigt und -  alle gehen hin, aber keiner merkt, dass gepredigt wird? Das trifft auf ein Ereignis zu, das in diesen Tagen schon im 64. Jahr seine Jünger in seinen Bann zieht: Karl May, seine Geschichten und die Karl May Spiele in Bad Segeberg. Noch bis zum 6. September heißt das Stück „ Im Tal des Todes“. In der Saison 2014 haben so viele wie nie zuvor die Karl May Spiele besucht: Es waren 329.393 Besucher! Die Hoffnungen in diesem Jahr bleiben nicht dahinter zurück.

Warum nun wird auch in diesem Jahr bei den Karl May Spielen so perfekt gepredigt – und keiner scheint es zu bemerken? Die Geschichte trägt alles in sich: Darin geht es um Gut und Böse, Liebe und Täuschung, Verführung und Entführung, Ausbeutung und Gewalt, Himmel und Hölle, Wandlung und Erlösung, Hoffnung und Glauben. Das, so könnte man meinen, macht es allein nicht aus. Schließlich beinhaltet alles Theater von Anbeginn an die Botschaften des Lebens und seiner Irrungen und Wirrungen und ist deshalb noch keine Predigt.

Es ist also noch mehr als das, was 7500 Besucher immer wieder in ihren Bann zieht. Es ist noch mehr als das faszinierende Life-Erlebnis unter freiem Himmel, perfekt unterhaltend mit spektakulären Stunts, mit Komik, den Tieren, mit Licht und Feuerwerk und teils waghalsigen Interpreten. Was ist es?

Ein kleines Kind vor mir auf der Sitzbank zwischen Eltern und Freunden – eingepackt in eine warme Jacke und die dicke Wolldecke unter dem Po – bringt es gleich zu Beginn auf einen wesentlichen Punkt und mich eigentlich erst so richtig auf diesen Gedanken der Predigt. Es sagt: „Gleich kommt Winnetou. Der macht alles wieder gut!“

Winnetou und Ko-inta, der Adler

Dann kommt Winnetou unter dem erwartungsvoll aufbrausenden begeisterten Applaus der Menge. Jan Sosniok verkörpert ihn genial. Die schwarzen Haare wehen über der weißen Indianertracht, als er auf seinem Rappen Iltschi auf halber Höhe der Arena auf einem Reitweg durch das Publikum zieht. Der Scheinwerfer nimmt ihn in seinen Lichtkegel. Das ist der Held. Der macht alles wieder gut. Er und sein Freund Old Firehand. Da mögen die Bösen kommen. Winnetou wird es richten. Der Gute, die Guten und das Gute, sie werden es richten.

Die Hölle des Bösen ist unten schon eingerichtet. Sie gibt dem Stück seinen Namen: das Tal des Todes. Aus dieser Hölle entkommt keiner. Der Böse und seine Komplizen betreiben in diesem verborgenen Tal mit Sklaven eine Quecksilbermine. Reichtum und Überfluss sind das Ziel, das mit allen Mitteln angestrebt wird: Entführung, Mord, Folter, Täuschung, Ausbeutung. Der Volksmund nennt das über Leichen gehen.

Da muss Erlösung kommen, Erlösung und Strafe, so etwas wie eine gerechte Strafe für so viel Missachtung, Gewalt und Bosheit. Die Erlösung wird inszeniert. Sie heißt Winnetou, Old Firehand. Sie basiert auf  Kampf und Einsatz, Mut und Kraft, Freundschaft und Verlässlichkeit, Ziel und Glauben, diesem bösen Treiben ein Ende setzen zu können. „Gleich kommt Winnetou. Der macht alles wieder gut!“

Die Entführung der geheimnisvollen Seherin Paloma Nakana setzt diesen Erlösungsprozess in Gang. Alle haben daran ihren Anteil: die Menschen, die Pferde, der Adler, der heilige Vogel Ko-inta, der Kalkberg, die Kulisse, Feuerwerk und Musik. Ein Ensemble in einer abenteuerlichen Geschichte auf der Suche nach einem guten Leben für alle, nach dem Einlösen von Freundschaft und Treue, Liebe und Glück, Bekehrung sogar – Winnetou schafft es, den trunksüchtigen Häuptling „Eiserner Pfeil“ der Maricopas vom Alkohol wegzubringen und wieder Verantwortung für sein Volk zu übernehmen.

All das höre ich anders in anderen Geschichten,  biblischen Geschichten und den Gleichnissen aus dem Neuen Testament, fast jeden Sonntag im Gottesdienst. Mit weitaus weniger Menschen, ohne Feuerwerk, leider kein fliegender Adler und auch keine Pferde. Schade, eigentlich. Aber 7500 Menschen hätten ja in meiner Kirche auch keinen Platz – und die Hölle zu inszenieren, das sollte wohl nicht sein. Das kann Bad Segeberg besser…

Aber hier in der Arena, hier sitzen Menschen und geben in all ihren Äußerungen zu erkennen, dass ihnen diese Geschichte gefällt. Diese fast heiligen Worte Winnetous, in denen er sich immer wieder auf seinen Gott, den großen Geist Manitou, beruft und für das Gute kämpft, unter Einsatz seines Lebens. Die sichere und bestimmte Art, seinen Glauben zu äußern und als unverbrüchlichen Teil seines Lebens weiterzugeben -  einfach so, sympathisch, unaufdringlich, einfach und klar, nicht verschnörkelt und voller Regeln und immer präsent.

Der Humorist

Premiere in Bad Segeberg hat auch der junge Schauspieler Partick L. Schmitz. Er spielt den Dichter Heinz-Egon Winzigmann, der mit seinem kleinen Auto durch den Wilden Westen reist und die Rolle des Komikers ausfüllt. Dabei kommt es zu einer Auferstehung – oder sollte man sagen Wiedergeburt – von Heinz Erhardt und seinem Universum an Witzen. Das Publikum hat es verstanden und ist begeistert. Predigen ohne Humor, das wäre in der Tat langweilig.

Der Parallelen zum Predigen seien es genug. Nur noch so viel: Am Ende gibt es wie in der Kirche einen Segen mit auf den Weg, einen Segen von Winnetou – bevor er mit wehenden schwarzen Haaren unter tosendem Beifall auf seinem Rappen aus dem gleißenden Scheinwerferlicht reitet. Der lautet: „: Manitou, der Große Vater, möge über euch wachen – und über alle Menschen, die guten Herzens sind!“ In der Kirche käme nun noch das „Amen“.

Damit rundet sich das Geheimnis um diese Geschichte und ihren heiligen Inhalt, die Botschaft nämlich, Menschen auf einen guten Weg zu führen, auf dem sie zwar für sich allein Verantwortung übernehmen sollen, auf dem sie aber nicht allein sind. Die 7500 stehen auf, klatschen, nehmen diese Botschaft mit, und werden in diesem Jahr sicherlich einen neuen Besucherrekord aufstellen. Der Weg nach Bad Segeberg lohnt sich, eine großartige Ensembleleistung empfiehlt sich und kann deshalb auch sehr empfohlen werden!

Wurde nun gepredigt, alle gingen hin – und keiner hat es gemerkt…?

 

Das Ensemble

Winnetou: Jan Sosniok; Senorita Miranda: Barbara Wussow; Old Firehand: Ralf Bauer; Paloma Nakana: Linda Holly; Eiserner Pfeil: Nikolas König; Juanito Alfarez: Fabian Monasterios; Roulin: Joshy Peters; Heinz-Egon Winzigmann: Patrick L. Schmitz; Sam Hawkins: Dirk Simpson; Martin von Adlerhorst: Felix Ströbel; Georg von Adlerhorst/ Starke Hand: Harald P. Wieczorek; Harry: Keno Fakhoury, Theo Seegebrecht, Nick Wiese.

Regie: Norbert Schultze jr.

Gespielt wird donnerstags, freitags und samstags um 15 Uhr und 20 Uhr, am Sonntag um 15 Uhr.

Weitere Informationen unter:

https://www.karl-may-spiele.de/aktuell/https://www.karl-may-spiele.de/aktuell/

 

Fotos: JRWöhlke

 

 

 

 

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