Hans-Ulrich Klose
ehemaliger Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg und vieles mehr

von Johanna Renate Wöhlke

Eine Gruppe kleiner Jungen läuft auf einem Friedhof hinter einem Beerdigungszug her, beobachtet was geschieht, stellt den Zug nach. Am Wegesrand pflücken die Jungen Löwenzahnblüten und werfen sie später auf das Grab. Wirklichkeit und Spiel mischen sich in dieser Grenzerfahrung zwischen Leben und Tod, im spielerischen Kontakt mit Tod, Trauer, Tränen, Spannung und Lachen. Der kleinste dieser “Gang” heißt Hans-Ulrich Klose. Er hat ein an Grenzerfahrungen reiches politisches Leben im Zusammenwirken vieler vor sich: als Mitglied des Bundestages für die SPD, ihr Schatzmeister und Fraktionsvorsitzender, Erster Bürgermeister Hamburgs, Bundestagsvizepräsident und auch Vorsitzender der AG 60 Plus, der Seniorenorganisation in der SPD.

Spielen als kleiner Junge, damals in Breslau und als Sechsjähriger ab 1943 evakuiert nach Bad Landeck im heutigen Polen, das bedeutete immer spielen in der Gruppe, in Gemeinschaft mit vielen Kindern. Diese Erfahrung hat Hans-Ulrich Klose nachhaltig geprägt: “Viele mit denen man umging, so auch mein vier Jahre älterer Bruder, haben die jüngeren natürlich auch gedeckelt. Wir mussten einstecken, aber wir haben auch gelernt, nicht gleich von jetzt bis zur nächsten Sekunde aufzugeben.”

Spielen bedeutete auch immer spielen mit den Dingen, die es einfach so gab, nicht mit Spielzeug. Der Bauernhof gegenüber, der Sattler und Schmied daneben, sie waren reales Leben, aber auch die Spiel- und Beobachtungsfelder. Zuschauen und nachspielen waren angesagt, kreativ umgehen mit den Dingen, die es gab oder die selbst gebastelt werden konnten. Da wurden zwei Jungen zu Pferden, einer zum Wagen, ein anderer zum Kutscher. Da waren die nicht voneinander abgegrenzten Gärten ein Revier, das wie eine Wildnis durchschlängelt und durchstöbert werden konnte und die Äpfel und Kirschen in Nachbars Garten immer wieder begehrte Ziele von Streifzügen.

Gemeinsam pflückten die Kinder auch Beeren und sammelten Pilze im Wald. Hans-Ulrich Klose: “In unserer nicht wie heute so medial bestimmten Kinderwelt mussten wir kreativ mit den Dingen umgehen, die wir hatten.” Umso mehr als zwischen 1944 und 1946 wegen des Krieges kein Schulunterricht stattfand. Dann wurde auch der Krieg im Spiel imitiert: das Soldatsein, spannende Straßenkämpfe. Zoff in der Gruppe, das gab es natürlich auch. Hans-Ulrich erinnert sich mit gemischten Gefühlen daran, besonders aus einem Grund: Er war bis zu seinem siebzehnten Lebensjahr mit Abstand der kleinste. “Kann sein, dass ich ein kleiner Terrier Typ war, denn ich musste mich immer behaupten und kämpfen”, meint er heute.

Angenehm ist die Erinnerung an den Vater, einen Lehrer. Er las an langen Winterabenden vor, auch der Schimmelreiter und Pole Poppenspeeler waren dabei. Ein Spielzeug war allerdings auch für den jungen Hans-Ulrich unverzichtbar: der Ball. “Wo ein Ball ist, ist Klose”, hieß es damals. Auch in der kirchlichen Jungschar wurde viel Sport getrieben. “Ich war ein guter Tischtennisspieler”, erinnert er sich. Heute spielt er noch Tennis. Geprägt durch die Spiele der Kindheit war auch Hans-Ulrich Kloses erster Berufswunsch als Kind: Sattler. Als Gymnasiast erwachte dann sein Interesse für Geschichte und Archäologie. Er wechselte sogar das Gymnasium, weil er Altgriechisch lernen wollte. Durch das Herstellen und Binden eigener kleiner Bücher zog es ihn kurzfristig auch zur Buchbinderei. Und als er dann Abitur machte, wäre er gerne als Offizier Pilot geworden, schwankte dann zwischen den Fächern Germanistik, Englisch und Geschichte, entschied sich aber aufgrund der Lektüre eines Buches, das ihm sein Vater gegeben hatte: “Einführung in das juristische Denken”, für Jura.

Vorher aber geschieht 1954 der entscheidende Einschnitt im Leben des jungen Klose: Er geht ein Jahr als Austauschschüler in die USA. Danach ist er nicht nur zwanzig Zentimeter gewachsen, sondern auch sein Interesse für Politik ist durch die Berührung mit der amerikanischen Demokratie und dem beeindruckenden Wohlstand des Landes erwacht. Dabei war die Entscheidung zwischen SPD und FDP von Anfang an nicht klar, obwohl der Vater SPD-Mitglied war. Erst am 1.März 1964 tritt er in die SPD ein. Klose: “Mein Vater war so klug, mir nur wenige Ratschläge zu geben. Einer davon war: Wenn du nicht willst, dass die roten oder braunen Banausen es machen, mach es selbst.” Mit roten Banausen waren die Stalinisten, mit braunen die Nazis gemeint.

Warum also die SPD? Klose nennt fünf Punkte: die Spiegel-Affäre, den amerikanischen Präsidenten Kennedy, sein Interesse an Geschichte, “die rationale Einsicht, dass die SPD eine ungebrochene demokratische Tradition hatte” und “dass die Freiheitsrechte unserer Verfassung nur umgesetzt werden können, wenn die materiellen Bedingungen stimmen”. Vor allem auch wollte er seinen eigenen Beitrag leisten, selbst etwas tun, mit eigenen Vorstellungen gestalten, “auch wenn mein Beitrag noch so klein sein würde” und wenn es wie früher in der Gemeinschaft der spielenden Kinder eine Gratwanderung bedeutete zwischen gedeckelt werden, einstecken müssen, durchhalten und nicht aufgeben.

Spielerisch begleitet hat ihn dabei seit dem zweiten Jurasemester ein Kartenspiel mit Namen Stichling, bei dem es darauf ankommt, vor jeder Runde vorauszusagen, ob man den Stich bekommen wird oder nicht. Ein Spiel mit drei bis sechs Personen, angesiedelt zwischen Glück und Berechnung. Alle vier Klose Kinder spielen es, die Familie und Freunde. Klose hat es ihnen beigebracht. Miteinander, gemeinsam in der Gruppe etwas zu tun und zu spielen, Hans-Ulrich Klose scheint es immer noch zu mögen.

Hans-Ulrich Klose erklärt einer Mitarbeiterin, Ute Berger, sein Lieblingskartenspiel Stichling.

Im  Hamburger Abendblatt/Harburger Rundschau erschienen)

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